In der Reihe der stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion war der "Große Terror” in den Jahren 1937 und 1938 beispiellos in seinem Ausmaß. Ganz im Gegensatz zu den damals unter großem Propagandaaufwand geführten öffentlichen Moskauer und lokalen Schauprozessen vollzog sich der "Große Terror" unter dem Siegel strengster Geheimhaltung. Innerhalb von nur 16 Monaten fielen ihm etwa 1,5 Millionen Sowjetbürger zum Opfer. Landesweit und aus allen sozialen Schichten verschwanden Menschen für immer – in geheimen Operationen verhaftet, von geheimen Standgerichten ohne Verteidigung, oft sogar in Abwesenheit als "Volksfeinde" abgeurteilt. 750.000 Opfer wurden sofort ermordet und in geheimen Massengräbern verscharrt.
Seit 2006 hat der polnische Fotograf und Journalist Tomasz Kizny viele dieser Aufnahmen gesichtet. Er machte Orte von Massengräbern ausfindig und fotografierte sie. Er führte Interviews mit betroffenen Familien, die oft noch bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 im Ungewissen geblieben waren über das Schicksal ihrer verschwundenen Angehörigen. Denn, so Kizny: "Im Russland Stalins folgte der physischen Vernichtung eines Menschen die Tilgung seines Bildes, die Auslöschung aller Spuren seiner Existenz, die Verurteilung zur 'damnatio memoriae' – zur Verdammung des Andenkens."
Die Ausstellung holt einige der Millionen Opfer des stalinistischen Terrors aus der Anonymität zurück. Sie gibt ihnen ihr Gesicht wieder und bereitet ihnen so ein nachträgliches Andenken. Gezeigt werden 80 Gefängnisfotografien der Opfer in vergrößerten Abzügen sowie weitere 200 als audiovisuelle Projektion, jeweils mit kurzen biografischen Angaben.
Über Medienstationen sind zehn Video-Interviews abrufbar, in denen sich Augenzeugen – meist die Kinder von Ermordeten – erinnern: an die Verhaftungen, an die quälende Ungewissheit und ihre vergeblichen Versuche, letzte Spuren ihrer verschwundenen Angehörigen ausfindig zu machen. Eine Projektion zeigt Fotografien, die Tomasz Kizny von 40 geheimen Hinrichtungsstätten und Massengräbern in Russland, der Ukraine und Weißrussland aufgenommen hat.
Download Flyer zur Ausstellung (PDF, 1,3MB)
Aus der Ausstellung:
Aleksej Grigorjewitsch Zheltikow
47 Jahre, Russe
Schlosser in den Reparaturwerkstätten der Moskauer Metro
am 8. Juli 1937 verhaftet, angeklagt der "Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Gruppe, die einen Terrorakt vorbereitete"
am 31. Oktober 1937 zum Tode verurteilt
erschossen am folgenden Tag
Foto: Zentrales Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (CA FSB RF) / Archiv der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL
Weitere Bilder aus der Ausstellung:
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Nach Stationen in Polen, der Schweiz, Frankreich und Russland ist die Ausstellung nun erstmals in Deutschland zu sehen.
Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiges Begleitbuch in Deutsch und Englisch (herausgegeben von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung Picture Doc, 84 S.,65 Abbildungen), erhältlich im Museumsshop zum Preis von 5 Euro .
Autor der Ausstellung: Tomasz Kizny
Ausstellungskuratoren: Dominique Roynette und Piotr Wójcik, Stiftung Picture Doc
Das dokumentarische Projekt Der Große Terror 1937–1938 wurde in den Jahren 2008 bis 2011 aus Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Gerda Henkel Stiftung finanziert.
Tomasz Kizny hat das Projekt während seines Forschungsaufenthaltes am Wissenschaftskolleg zu Berlin im Jahr 2006/2007 begonnen. Die Institution unterstützte das Projekt auch in den folgenden Jahren.
In der Russischen Föderation wurde das Projekt in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL in Moskau realisiert.
Die Ausstellung wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Tomasz Kizny lebt in Wrocław.
Eintritt
3 Euro/erm. 2 Euro, freitags 2 Euro